Ein Besuch im Zaatari Flüchtlingslager, Jordanien

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Feras ist aus Damaskus, Syrien. Vor einigen Jahren ging er nach Deutschland und lebt dort seither mit seiner Frau. Über all die Zeit verlor er aber weder den Kontakt, noch seine Liebe zu seinem Land. Und das, obwohl sein letzter Besuch in Syrien nicht besonders einladend war: Als er 2011 am Flughafen ankam, wurde er von Ort und Stelle weg verhaftet und konnte einige Wochen später nur mit Hilfe der deutschen Botschaft wieder nach Deutschland und zu seiner Familie zurückreisen. Das war vor zwei Jahren.
Seit damals haben eine Million syrische Flüchtlinge ihr Land verlassen – das ist die aktuelle Zahl, die UNHCR in einer Pressemitteilung am 6. März 2013 veröffentlichte und gleichzeitig feststellte, dass diese Zahl seit Anfang des Jahres dramatisch gestiegen sei. Mehr als 400.000 Menschen seien seit Januar 2013 Flüchtlinge geworden. Sie kämen traumatisiert, ohne jeglichen Besitz und sehr oft hätten sie Familienmitglieder verloren. Alleine in Jordanien kamen bisher insgesamt 332.502 Syrer an und registrierten sich bei der UN als Flüchtlinge. Die jordanische Regierung schätzt die tatsächliche Zahl auf 420.000 Syrer im Land (http://data.unhcr.org/syrianrefugees/regional.php).
Als Feras zum Zaatari Flüchtlingslager in Jordanien fuhr, wollte er zwei Ideen realisieren, um syrischen Flüchtlingen zu helfen. Aber als er dort ankam, sah er schockierende Zustände und musste seine Pläne ändern.
Es gibt viele Probleme im Flüchtlingslager, offensichtlich.
Um das Zaatari Flüchtlingslager als Besucher zu betreten, muss man dienstags oder freitags kommen. Es gibt keinen Bus dorthin, ein Taxi aus der nächsten Stadt Rama braucht eine halbe Stunde und kostet 15 Dinar. Der Bus aus Amman fährt zwei Mal täglich nach Zaatari, zu einem Preis von 25 Dinar, umgerechnet 26 Euro. Aus keinem ersichtlichen Grund lässt die Polizei am Eingang manchmal nur bis zu fünf Besucher pro Stunde hinein, was zu Wartezeiten von drei Stunden und mehr führt. Man muss den Namen der Person nennen, die man besuchen möchte. Es ist ohne offizielle Erlaubnis einer jordanischen Behörde verboten, Fotos oder Filmaufnahmen im Camp zu machen.
Aber auch als Flüchtling ist es manchmal nicht einfach, das Flüchtlingslager zu betreten. Alleine in einer Nacht kamen 1000 neue Flüchtlinge, obwohl die jordanischen Behörden gerade die Grenze für syrische Flüchtlinge komplett geschlossen hatten. Einige von ihnen warteten fünf Tage und länger, bis sie endlich registriert wurden – also bis sie versorgt wurden, Essen oder zumindest Decken bekamen.
Es gibt viele Probleme im Flüchtlingslager, offensichtlich. Eröffnet im Juli 2012 leben im Moment mindestens 151.423 Flüchtlinge im Camp, von denen 22% jünger als 12 Jahre sind (http://data.unhcr.org/syrianrefugees/settlement.php?id=176&country=107®ion=77). Feras beobachtete alltägliche Probleme, zum Beispiel bei der Versorgung mit Essen und Alltagsgegenständen. Das Flüchtlingslager erstreckt sich auf ein weites Gebiet, wodurch Familien, die am anderen Ende des Lagers wohnen, gar nicht erst erreicht werden. Es gibt kein Gas, keinen Strom, kein fließendes Wasser. Das Wasser, das mit Tanks gebracht wird, reicht qualitativ und quantitativ gerade dazu, sich ein Mal wöchentlich zu waschen. Im Unterschied zum alten ist das neue Flüchtlingslager zumindest so angelegt, dass es nicht bei jedem starken Regenfall teilweise weggespült wird. Im Januar gab es eine besonders kalte Woche. Alleine in einer Nacht starben drei Kinder und weitere 70 Menschen erlitten Erfrierungen.
Menschen gehen sogar zurück nach Syrien. Sie sterben lieber durch eine Bombe, als vor Hunger.
Die strengen Kontrollen am Eingang sollen die Flüchtlinge vor Attacken von Seiten verschiedener Interessensgruppen beschützen. Manchmal sieht man nachts vermummte Menschen, Frauen verschwinden und werden nicht wieder gesehen. Die Polizei unternimmt nichts dagegen, hört man. Einige Familien erzählen, sie hätten Angebote erhalten. Hilfsangebote werden sie genannt, in Wirklichkeit handelt es sich dabei um Geschäfte: eine Tochter der Familie im Austausch mit finanzieller und materieller Unterstützung. Man hört, dass diese Hochzeitsangebote hauptsächlich von Scheichs aus Ländern wie Saudi Arabien kommen, aber auch für jordanische Männer ist es jetzt erschwinglich und einfach, eine passende syrische Braut unter den Flüchtlingen zu finden. Oft allerdings entpuppt sich die Heirat als Teil eines perfideren Geschäfts, das die jungen Frauen in die Prostitution drängt: die vollzogene Hochzeit wird nach einigen Tagen annulliert und die überrumpelten Frauen im nächsten Moment in eine brutale Zukunft weitergereicht. Herr Hamid erklärt: „Sie sagen ihnen: Wir heiraten jetzt so und erledigen die Formalitäten, sobald wir in Saudi Arabien sind. Aber dann tauchen sie unter und ändern ihre Telefonnummer. Viele syrische Mädchen wurden auf diese Art geschwängert und verlassen.“ Wächter des Zaatari Flüchtlingslagers bestätigten, dass sie oft von Männern, hauptsächlich aus Jordanien und Saudi Arabien, Geld angeboten bekämen, wenn sie sie im Flüchtlingslager nach einer „netten jungen Braut“ suchen ließen (http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/middleeast/syria/9821946/Syrian-girls-sold-into-forced-marriages.html).
Jordanische Behörden möchten nicht nur über einreisende Flüchtlinge die Kontrolle haben, sondern auch über jene, die im Flüchtlingslager leben. Und es wird auch erzählt, dass die Offiziellen des Camps auch Geld dazuverdienen möchten: um das Flüchtlingslager zu verlassen und statt dessen in einem jordanischen Dorf oder in Amman zu leben, muss eine syrische Familie zwischen 200 und 300 Dollar bezahlen. Das ist für die meisten Flüchtlingsfamilien keine realistische Option. So müssen sie im Flüchtlingslager bleiben; wie in einem Gefängnis.
Syrischen Bürgern werde auch damit gedroht, sie zurück auf die andere Seite der Grenze zu schicken, sollten sie nicht gehorchen. Und man trifft Menschen, die schwören, Zeugen von Kooperationen zwischen den jordanischen Behörden und dem syrischen Geheimdienst geworden zu sein: Informationen wurden ausgetauscht, Personen beim Feuerlegen an Zelten beobachtet, Gift wurde verwendet.
Aber selbst wenn man es schafft, eine Unterkunft in einem jordanischen Dorf oder in Amman zu finden, ist das Leben mit wenig Geld und Vorräten schwierig. Essen und Dinge des täglichen Gebrauchs sind für Syrer relativ teuer in Jordanien, selbst wenn man es geschafft hat, mit zumindest ein wenig Geld aus Syrien zu kommen. Über die ganze Stadt Amman verteilt gibt es einige Privatpersonen, die ihre Hilfe, kostenlose Nahrung und Medizin anbieten. Aber die Taxifahrten, um diese Orte zu erreichen, sind sehr teuer. Trotzdem versuchen schätzungsweise 120.000 Syrer auf diese Art und Weise zu überleben (http://data.unhcr.org/syrianrefugees/country.php?id=107).
Etwas Schönes kann aus einer schrecklichen Situation erwachsen
Feras wollte zwei Projekte in und um Zaatari realisieren. Der Garten der Freiheit sollte Kindern nicht nur das Gärtnern näher bringen, ihnen ermöglichen, die Zeit sinnvoll zu verbringen und eine Brücke zwischen den Bewohnern des nächsten jordanischen Dorfes und denen des Flüchtlingscamps zu bauen. Er sollte auch zeigen, dass selbst aus einer schrecklichen Situation etwas Schönes erwachsen kann. Doch der Boden ist von schlechter Qualität, der Sand für den Gartenbau einfach unbrauchbar. Gute Erde zu bringen, ist im Moment zu teuer. Eine andere Lösung muss also gefunden werden, um diese wundervolle Idee zu verwirklichen.
Die zweite Idee war es, Wolle und Garn ins Flüchtlingslager zu bringen und damit Menschen, die dazu Lust haben, die Möglichkeit zu geben, Schals, Mützen, Armbänder und anderes in den neuen „alten“ Farben Syriens anzufertigen: grün, weiß und schwarz mit drei roten Sternen im mittleren Streifen. Er brachte die gekauften Materialien ins Camp. Aber er stellte bald fest, dass schon ein kleines Geschäft begonnen hatte, bei dem Händler die angefertigten Produkte nach Amman und in angrenzende Dörfer brachten und dort Gewinn bringend verkauften.
Eine andere Angelegenheit, die Feras prüfen wollte, war ein Container voller Altkleider, den er vor Wochen von Deutschland aus nach Amman geschickt hatte. Aber aus Angst vor Krankheitsepedemien verbietet das jordanische Recht den Import alter Kleidung, bevor diese nicht drei Mal gewaschen wurde. Das macht es um ein Vielfaches teurer, als neue Kleidung in Jordanien zu kaufen. Natürlich muss auch Jordanien den eigenen Textilmarkt vor Billigware aus dem Ausland schützen. Die gesammelten warmen Kleidungsstücke stecken jetzt allerdings im Hafen fest.
Feras fand erst mal eine schnelle andere Lösung: mit der Post verschickte er Pakete. Bisher kamen vier der sechs Pakete aus Deutschland an, mit Jacken, Pullovern, Hosen und anderen warmen Kleidungsstücken. Feras war sehr glücklich, als er diese vom Haus seiner Schwester in Ramcah ins Flüchtlingslager bringen konnte und den besonders bedürftigen Familien zumindest ein bisschen helfen konnte. Lächelnde Gesichter sind das schönste Dankeschön für Feras, sie zaubern auch ihm ein Lächeln auf die Lippen.
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